juergen moldenhauer
.....Jürgen Moldenhauer lässt Linien als Stahldrahtskulpturen in den Raum hineinwachsen, verändern diesen und sie verlassen die Zweidimensionalität, gewinnen an Farbe und Strahlkraft, auch die zu größeren Gesamtobjekten zusammengefügten Metallwaben – oft sind es Zink oder Kupfer – verstärken diesen Eindruck. Hier zeigt sich eine symbiotische Verbindung zwischen den Arbeiten Moldenhauers und Matthieus, die besonders dann deutlich wird, wenn durch Licht die Stahldrahtskulpturen; Schattenzeichnungen an Wände, Decken und Boden werfen und so wieder zur zweidimensionalen Linie zurückfinden.
Mit seinen Betonarbeiten, einer zweiten Werkgruppe, gelingt Moldenhauer eine Transformation des an sich so spröden Materials. Glatte, schöne, phantasievolle Formen und Gestaltungen geben dem Beton Leben und Schönheit, ja man ist versucht, sie zu berühren, entlangzugleiten, zu streicheln, auf eine haptische Exkursion zu gehen.
Die Betonobjekte, so sagt Moldenhauer, treten in einen Dialog mit der Umgebung, suchen andere Objekte, fügen sich ein in ein universelles Ordnungssystem, deren Entschlüsselung fast unlösbar erscheint.
Kein auf den ersten Blick bekannter Logarithmus ist anwendbar.
Zahlen, Buchstaben, Symbole die verdreht, gespiegelt, zum Teil nicht mehr entzifferbar sind, weisen auf die Einzigartigkeit und gleichzeitig auf ein dazugehören hin.
Das Material ist spröde, schwer, hat oftmals eine raue Oberfläche. Glatte und sehr feine Gliederungen sind aber ebenfalls Objekteigenschaften.
Kanäle, Wunden, Adern, Einschlüsse, Aufbrüche durchziehen die Körper. Absplitterungen, die auf fehlende Teile hinweisen, sind von glatten Wänden umrahmt, die den Körper zusammenhalten. Teilstücke werden zusammengefügt, es entsteht eine neue Galaxis, ein Körper, ein Etwas.
Objekte findet man an der Decke hängend, aus dem Boden wachsend. Sind plan oder mit Abstand an Wänden und auf Sockel montiert. Scheinen manchmal zu schweben, ein anderes Mal hingeworfen.
Unterseiten, geben ihren Farbauftrag an die Wand als Schatten ab. Deckflächen, die grobe Bearbeitungsspuren aufweisen, sind ebenso zu finden wie glatte, fast spiegelnde Flächen mit und ohne Farbe. Gussspuren sind überall sichtbar.
Eine Sonderform der Betonarbeiten nehmen die ein, welche glasversiegelte Oberflächen aufweisen. Sie erinnern sehr häufig an Landschaftssoden, die aus einem Größeren herausgestochen und nun alleine bestehen müssen.
Einige Glasversiegelungen lassen in das Objekt blicken, andere sind farbig hinterlegt und der Blick bleibt an der Oberfläche.
Lichtspiegelungen erscheinen im Raum: Die mehrfach überschichteten Glasplatten entwickeln eine ganz eigene Dynamik: sie sind durch einen Schmelzprozess miteinander verbunden und gehen eine Gemeinsamkeit, ein harmonisches Miteinander ein.
Genauso kann es zu Spannungszuständen kommen, die die Glasfläche zum Reißen bringt.
Auflösungserscheinungen sind die Folge.
Aber diese gehören genau so zu der Serie, wie die in scheinbarer Harmonie abgekühlten und ausgehärteten Arbeiten.
Er selbst sagte mir, das sei keine Anbiederung an das alte Element Beton, sondern ein Kontrapunkt. Als souveräner Baubetonkörper entsteht eine eigenständige Glaskonstruktion, die er unterbaut und die im Brennofen eine Gestalt mit großer Tiefenwirkung gewinnt.
Hans-Volker Feldmann
Otterndorf
Auszüge aus der Ausstellungseröffnung: leise, aber nicht lautlos
Städtische Galerie Otterndorf 2016
Knick und Kante
Falten ist ein alltäglicher Vorgang. Zumindest zählte das Knicken eines Blatts Papier zu den häufigen Handgriffen, als der Brief noch zentrales Kommunikationsmedium war. Heute verlangt in jedem Fall die Kleidung noch die Fertigkeit des möglichst knitterresistenten Zusammenlegens, wenn begrenzter Raum es erfordert - wobei der bewusst gesetzte Knick und die gezielt drapierte Falte ungebrochen zum Gestaltungsmittel der Mode selbst gehören. In früheren Zeiten dokumentierte die Faltenmenge sogar Wohlstand: Je vielfältiger die textile Fülle, desto mehr Stoff und dementsprechend Reichtum.
Faltung ist somit funktional, ästhetisch und Statussymbol, und mehr noch, sie ist untrennbar mit der Genese und Gestalt des Menschen verbunden. Die erste Falte entwickeln wir, wenn wir ganz am Anfang stehen: Der Embryo wächst, indem er Zellen bildet und in Falten legt. Wenn der Mensch auf die Welt kommt, ist sein Gehirn glatt. Damit seine Gehirnzellen wachsen können, falten sie sich. Im Körperinneren ermöglicht die Faltung den lebensnotwendigen Stoffwechsel: Der Darm misst entfaltet über zehn Meter. Auf der Haut allerdings versuchen wir die Faltenbildung so lange wie möglich herauszuzögern
Wenn Falten zum menschlichen Dasein gehören, erstaunt es nicht, dass sie auch in der Kunst ein altes Thema sind, als Motiv und als Gestaltungsmittel gleichermaßen. Alte Meister demonstrierten ihr Können, indem sie in Gemälden oder Skulpturen Faltenwürfe modellierten. In virtuoser Nachbildung von Licht und Schatten feierten sie die sinnliche Schönheit des Faltenwurfs. Eine Ausstellung im Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt widmete sich unlängst dem Thema unter dem schönen Titel „Einknicken oder Kante zeigen. Die Kunst der Faltung“. Seit dem Siegeszug der Moderne und der Befreiung der künstlerischen Mittel von der Abbildfunktion rückte das gestalterische Verfahren selbst immer mehr in den Blick. Der Abschied von der Zentralperspektive und die Mehransichtigkeit im Kubismus und später bei den Konstruktivisten führten in der Malerei und auch in der Bildhauerei zu zerlegten, mit Kanten und Brüchen versehenen Bildern und Objekten. In der abstrakten Kunst wird noch grundsätzlicher die Frage nach dem Verhältnis von Fläche und Raum aufgeworfen. Diese kann über das Thema der Faltung vielschichtig und spannend beantwortet werden.
Jürgen Moldenhauer befindet sich mit seinen Stahlfaltungen also in einer langen Tradition und in einem thematischen Umfeld, das ergiebiger ist als der erste Anschein der Objekte nahelegt. Dies könnte nicht zuletzt an dem Wesen des Faltens selbst liegen. Erst einmal entfaltet, offenbaren die Plastiken eine Fülle an formalen Eigenheiten und daran anschließenden Assoziationen. Nicht zufällig beinhaltet das eingedeutschte Wort ex-pli-zieren die französische Vokabel für das Wort Falte, nämlich pli. Etwas zum Ausdruck zu bringen, setzt offenbar den Nachvollzug seiner vielfältigen Abbiegungen in Gestalt und Gehalt voraus. Manche Philosophen sehen in der Vielheit das Wesen des Lebendigen repräsentiert, unser Denken sollte ihm nicht mit starren Kategorien zu Leibe rücken, sondern versuchen, seine Wendungen und Krümmungen, seine Einstülpungen und Auswölbungen nachzufahren.
Moldenhauers Faltungen aus Stahlblech wurzeln im handwerklich-maschinellen Bereich. Der Künstler gelangte über die mechanischen funktionsbestimmten Abkantungen in einer Werkstatt zum ästhetischen Umgang mit dem Material. Im Laufe der Zeit entwickelte er dabei immer neue und komplexere Formvorstellungen. Nun lotet er in verschiedensten Varianten die Möglichkeiten aus, die das sperrige Material zulässt. Stahlbleche und herkömmliche Werkzeuge erlauben nur ein begrenztes Spektrum an Faltungen. Moldenhauer nutzt deshalb selbst entwickelte Apparaturen, um die Stahlbahnen abseits des rechten Winkels in buchstäblich vielfältige Abzweigungen und Abknickungen zu treiben und in eine dreidimensionale Form zu bringen.
Dabei entstehen Objekte, die auf unterschiedlichste Weise Körperlichkeit ausbilden. Sie reichen von der aufgefalteten Bahn, die nur minimal über die Ebene hinausragt, bis zum mehr oder weniger umschlossenen Vieleck. Moldenhauer entwickelt nicht zuletzt aus dem reizvollen Dialog mit der Stofflichkeit heraus ein breites Spektrum an formalen Variationen, das potentiell unendlich ist. Dabei behält auch jedes Objekt eine prinzipielle Offenheit bei. Die Faltung jedes Stahlbands scheint sich über dessen Anfang und Schlusspunkt hinaus fortschreiben zu lassen. Das sichert der Form, die als Faltungsausschnitt auftritt, einen prozessualen und damit dynamischen Charakter.
Der Nachvollzug und in manchen Arbeiten auch das Weiterschreiben der Wendungen, die das Stahlblech in die unterschiedlichsten Ebenen und Fluchten hinein vornimmt, stellen einen besonderen Reiz für den Betrachter dar. Ebenso einnehmend ist das Spannungsverhältnis zwischen der Festigkeit des Materials und der Leichtigkeit seines geformten Auftritts.
Der Weg, den die Form nimmt, ist an jedem Knick ablesbar. Das Objekt offenbart also seinen Entstehungsprozess, verrät aber nichts über seine grundlegenden Organisationsprinzipien. Die Wahrnehmung wird nicht durch Regelhaftigkeit bedient und beruhigt. Eine Herausforderung für den Künstler besteht nun darin, den Gang der Gestaltung nicht vorhersagbar zu machen, ihn aber dennoch nicht vollständig beliebig erscheinen zu lassen. Den Objekten ist das Wechselspiel von Planung und spontaner Entscheidung unter Mitwirkung von Zufall und Intuition eingeschrieben. Moldenhauer fertigt zwar Modelle in Pappe. Doch die finale Form ist nur begrenzt vorstellbar und planbar. Das nur begrenzt flexible Material fordert und behauptet seine eigenen Wege. Vielleicht beziehen die Plastiken auch daraus ihre gehörige Portion Selbstverständlichkeit. Dem Künstler gelingt es, dem Material Formen abzuringen, ohne dass dies angestrengt wirkt. Er biegt das Material, ohne dessen Eigenart zu brechen, er beherrscht es, ohne ihm etwas überzustülpen.
Die schwarze Farbe der Objekte schafft Uniformität auf der Oberfläche und lenkt den Blick ganz auf die Kanten und Knicke und damit auf das plastische Geschehen. Die Seiten und Falten setzen Linien im Raum und bilden Raum.
Sie umschreiben Volumina und nehmen diese in ihrer Durchsichtigkeit wieder zurück. Jede Falte, jeder Knick, jede Kante macht einen Unterschied in der Oberfläche, im Innen- und im Außenraum. Die Objekte schaffen nicht nur einen Raum, sondern durch die verschiedenen Winkel, durch die unterschiedlichen Ansichten und Durchsichten ganz unterschiedliche Räume und Atmosphären.
Mal hebt sich die Falte nach oben, mal senkt sie sich nach unten, mal kippt sie nach innen, mal nach außen, mal nach hinten, mal nach vorne.
Die Plastiken besitzen dadurch nicht nur eine Ansichtsseite, sie lenken den Betrachter an unterschiedliche Standpunkte. Ihr Charakter verändert sich nicht nur entsprechend der Stumpf- oder Spitzwinkeligkeit ihrer Kanten sondern auch gemäß dem Blickwinkel, manchmal sind sie eher einladend, manchmal stellen sie abweisend Wände auf. Hier sperren sie sich ab oder knicken ein, dort öffnen und entfalten sie sich, mal recken sie die Kante offensiv aus der Form heraus, mal ziehen sie sich in ihre Form zurück. Die Durchsichten geraten spannend oder spannungslos.
Die Falte ist somit ein durchaus spektakuläres Phänomen mit Potential und Tragweite. Als lineares Gebilde beschreibt sie den Übergang von einer zweidimensionalen Fläche in eine dreidimensionale Form.
Grundsätzlicher gesehen ist sie das Resultat einer Transformation, markiert ein Ereignis und einen Übergang. Sie ist also nicht nur Formgeschehen, sondern lässt sich auch als Chiffre für allgemeine Richtungsweisungen und Richtungsänderungen lesen, für Oberfläche, Organisation und Ordnung in vielen Daseins- und Denksphären.
Die Vielschichtigkeit und Bedeutungsvielfalt von Moldenhauers Metallobjekten offenbaren sich nicht zuletzt in der seriellen Präsentation der Arbeiten. In der Serie sind Grundstrukturen und Variationen ausgebreitet. Formaler Kanon und Eigenbehauptung der einzelnen Arbeiten können abgeglichen werden. Differenzen setzen sich von den Wiederholungen umso markanter ab. Dem Reiz des Variationenspiels, den Wechselfällen von Entwicklung und Experiment, Folgerichtigkeit und Abweichung folgt Moldenhauer auch in seinen Druckgrafiken.
In einer Motivreihe großformatiger Blätter verwendet er einzelne Seiten verschiedener Pappmodelle seiner Stahlfaltungen und kombiniert sie miteinander. Geometrische Grundformen werden so in immer neue Konstellationen gesetzt. Das Kolorit ebenso wie die Motive bewegen sich in einem schmalen Spektrum. In diesem beruhigten Grundklang bilden die Flächen ebenso spannungsvolle wie kontemplative Korrespondenzen aus. Durch Überdruckungen entstehen unterschiedliche Sättigungsgrade der Farbe und damit Tonwerte, die dem Oberflächengeschehen eine sanft bewegte Binnenstruktur verleihen. In einer weiteren Reihe verwendet Moldenhauer Muster aus Industrieware. Stanzungen aus Pappe, Negativformen, die aus einem Samurai-Set übrig bleiben, bilden ornamentale Figurationen aus. Auch aus seinen Grafiken sind Moldenhauers Auseinandersetzung mit dem Trägermaterial und der Herstellungsprozess ablesbar. Die Stofflichkeit des Papiers spricht mit, um es in seiner Entfaltung nicht einzugrenzen und zu beschränken, wird auf Rahmung verzichtet. Dem Künstler gelingt es auch hier, durch Reduktion und Konzentration die Entfaltung seiner Motive, die Varianten eines bewusst schmalen formalen Kanons umso sinnfälliger zu machen.
Dr. Rainer Beßling
Der Titel "Heimatroman" blinkt im schrillen Pink, so wie kleine Mädchen es lieben, die noch an den Weihnachtsmann glauben und daran, dass das Leben ein Ponyhof ist, idyllisch wie in Heimatromanen. Immer blau der Himmel, darunter satte blumenübersäte Wiesen. Ein Bergmassiv mit glitzernden Bergkuppen bildet den Wall, der dieses Idyll vor der Realität schützt, denn die ist weder pink, noch rosig, noch immerblau, noch blumig, es regnet weder Rosen noch Sterntaler und die Menschen sind nicht in der Laune, ihr Blendaxlächeln aufzusetzen. Kurz, der Titel führt in die Irre und aufs Glatteis und auch die süßlich verspielt geschwungene Typographie hält nicht, was sie verspricht oder vermuten lässt, sie ist der blanke Hohn. Der Roman, den Jürgen Moldenhauer in seiner Rauminstallation schreibt, ist alles andere als jener rosarote Kitsch, hat nichts mit dem Kitsch zu tun, mit dem Leser sehnsüchtig ihre Vorstellungen von heiler Welt zu befriedigen suchen. Seine Installation thematisiert und problematisiert zunächst unsere Wahrnehmung von Wirklichkeit und stellt die Frage in den Raum, wie wirklich die Wirklichkeit denn ist.
Da spielt dann das Farbspiel wieder eine Rolle: ich sehe was, was Du nicht siehst und das ist pink und rosarot. Ist es nicht. Die Farbmosaike ändern chamäleongleich permanent ihre Farbe, eben noch bist du sicher, blau wahrgenommen zu haben, da siehst du im nächsten Moment rot. Wie zuverlässig ist unsere Wahrnehmung? Ist es nicht so, dass wir nur das sehen, was wir sehen "wollen" bzw. sehen "können" auf Grund unserer erlernten und eingeprägten Muster, Stereotypen, Klischees, Vorurteile, Erfahrungen und Erlebnisse? Wie ist unsere Wahrnehmung von Realität? In der Regel nehmen wir von der Wirklichkeit nur einen Teil der Gesamtinformationen wahr, also eine weitaus geringere Datenmenge als tatsächlich vorhanden, sind aber felsenfest davon überzeugt, dass es das Ganze ist. Dass das bei der Beurteilung von Realität problematisch sein kann, liegt auf der Hand.
So in Moldenhauer`s Dunkelkammer erleuchtet und eingestimmt, begibt sich der Heimatsuchende in den nächsten Raum. Hier scheint es zunächst geradezu heimelig zuzugehen. Ein schlichter, solider Holztisch erinnert an Bauernstube, die Wohligkeit sitzt mit am Tisch, ist hier zuhause. Ein frisch angeschnittenes herzhaftes Bauernbrot wartet auf den Gast, der sogleich auf einem der einladenden, ebenfalls unverschnörkelten und nur auf seine ureigene Funktion beschränkten Holzstühle Platz nimmt, einkehrt oder heimkehrt. Der Duft von Heimat, Willkommen sein, Behaglichkeit und Geborgenheit steigt aus dem Laib frischen Brotes und rundet sich ins Vollkomme durch das Stück Deutscher Markenbutter, der man es ansieht, dass sie von glücklichen Kühen stammt, die auf immer sattgrünen Weiden unter immer-blauem Himmel im Schutze alpiner Kulisse grasen und vor Glück ganz lila sind. Mit jedem Bissen verleibt er sich dieses wohlige Heimatgefühl ein, doch der Bissen bleibt ihm im Halse stecken. Die Fenster sind abgedunkelt mit Kopfkissen aus altem Leinen, womöglich geziert mit den Initialen der Großmutter. Sie verstärken den Betrachter in dem Glauben, hier Schutz, Geborgenheit und Frieden zu finden. Das Draußen, das diesen Frieden stören könnte, wird ausgesperrt, kann nicht zum Fenster hineinschauen und erschrecken. Das Drinnen soll heil sein, intakt, hier soll man in Frieden sein dürfen, doch solange da draußen Katastrophen, Kriege und Krisen wüten, bleibt der Wunsch Illusion. Und so bleibt das heimelige Tisch-Stuhl-Ensemble in Moldenhauer`s Installation auch nicht ungestört. Es funzelt nämlich keine Kerze still vor sich hin und auch keine Petroleumleuchte. Über dem Sinnbild von Heimat schwebt ein grünes Gestell, eine kantige Holzskulptur, in sich uneins, voller Brüche und Dissonanzen und wirft ein hartes Licht auf die Tischseligkeit. Nun ist definitiv auch der innere Frieden gestört und die so schön inszenierte Idylle erweist sich als trügerisch. Das Idyll zerbricht unter dem gebrochenen Licht - und wird wie das Damoklesschwert zur Bedrohung.
Wir nähern uns damit einem weiteren Möbel und Element der Gesamtinstallation, einem Metallspind mit vier Türen. Wenn wir sie öffnen, werden uns gnadenlos die Augen geöffnet für unbequeme Wirklichkeiten, die wir gern im Schrank wegsperren und unter Verschluss halten würden. Die Fragen stehen im Raum, lassen sich nicht wegschließen. Was bedeutet Heimat? Wie gefährdet ist unsere Heimat? Plötzlich poltert das ganze Vokabular vor unsere Füße, Heimatvertriebene, Heimatlosigkeit, Flüchtlinge, Boatpeople, Heimatverlust. Damit hat der bonbonfarbene und süßlich kitschige Heimatroman nun gar nichts mehr gemein.
Im ersten Spind Fotografien von Menschen auf der Flucht vor Terror, Bürgerkriegen in Afrika, Syrien und anderswo auf der Welt, im 2. das Elend der Boatpeople, die um dem Morden zu entkommen den Tod riskieren - das Mittelmeer als Massengrab. Dann im 3. Spind die Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten auf der Flucht vor den Russen im 2. Weltkrieg, Dokumente von Elend und Barbarei, Dokumente über den gewaltsamen Verlust von Heimat.
Und dann der Schrank, der dich selbst betrifft und dich erschaudern lässt, gefüllt mit persönlichen Utensilien, die für all das stehen, was dir einmal etwas bedeutete, was Inhalt und Gegenstand deines Lebens war, aufbewahrt in einem kleinen Schrank, oder zurückgelassen wie die Hose, die zwischen allem hängt. Blieb keine Zeit mehr sie anzuziehen, weil du selber fliehen musstest vor Häschern und Mördern, die dir dein Zuhause nehmen wollen? Du konntest nichts mitnehmen außer deinem Leben und bist jetzt selbst auf der Flucht in eine ungewisse Zukunft irgendwohin, um deine Haut zu retten, in ein Land, das dich nicht will, das dich wieder abschiebt, möglicherweise in die Klauen deiner Verfolger.
Sieht so deine Zukunft aus, du, der sich in Sicherheit wähnt in einem reichen Land mit Recht und Ordnung und Frieden? Ist das alles brüchig und trügerisch, gibt es kein Entkommen, keinen Ausweg? Das Verdrängen dieser Möglichkeit, die für Millionen Menschen bittere Realität ist, ist keine Lösung und schon gar nicht die Flucht in die verklärende,verschleiernde Welt des Heimatromans. Die Titelseite des Sternes zitierte C.D.Friedrich`s "Wanderer über dem Nebelmeer", der sich einer Flut von Flüchtlingen konfrontiert sieht. Der Romantiker prallt auf die brutale Wirklichkeit, die aus dem Nebel aufgestiegen und Kontur bekommen hat und sich nicht mehr unter der Decke halten lässt. Er blickt in einen Abgrund. Der Künstler Moldenhauer erahnte die Katastrophe, als die Politik sie noch verschleierte und darüber hin wegschaute. Nun wird das Wegschauen und Kleinreden bestraft und die Not ist groß, nicht nur die der Flüchtlinge - der Heimatroman schreibt sich selber fort als düsteres Kapitel mit ungewissem Ausgang. Plüschig pink - das steht schon fest - wird er nicht sein.
Ingolf Heinemann